Wie sehen Sie die aktuelle Rolle der Industrieforschung in Deutschland im globalen Vergleich? Gibt es Bereiche, in denen wir besonders stark sind oder Nachholbedarf haben?
Industrieforschung in Deutschland spielt traditionell eine führende Rolle, insbesondere in Sektoren wie der Automobilindustrie, dem Maschinenbau und der Chemiebranche.
Diese Stärken basieren auf einer langen Innovationsgeschichte, hoher technischer Expertise und enger Verknüpfung zwischen Forschung und Anwendung. Gleichzeitig sehen wir aber auch wachsenden Wettbewerbsdruck aus aufstrebenden Wirtschaftsnationen und technologisch führenden Ländern wie den USA oder immer mehr auch aus China. In Bereichen wie Künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Quantencomputing gibt es noch deutlichen Nachholbedarf. Hier fehlt es oft an skalierbaren Anwendungen und einer schnellen Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in marktfähige Produkte. Es ist entscheidend, die Dynamik in diesen Zukunftsfeldern zu erhöhen, um nicht weiter ins Hintertreffen zu geraten. Zusätzlich müssen wir durch transferorientierte Forschung die anstehende Transformation der Industrie begleiten und auch ermöglichen.
Welche konkreten Maßnahmen oder Investitionen sind Ihrer Meinung nach nötig, dass Forschung und Innovation in Deutschland weiterhin einen internationalen Spitzenplatz einnehmen können?
Die Vernetzung von mittelständischen Unternehmen, Hidden Champions, Start-ups und Großunternehmen mit wissenschaftlichen Einrichtungen zum Zweck gemeinsamer Forschung und Entwicklung ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für das Innovationssystem und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Das forschungsorientierte, branchenübergreifende und technologieoffene Industrienetzwerk der AIF ist seit mehr als sieben Jahrzehnten bundesweit einzigartig. Wir haben mit der Neuausrichtung der AIF als Allianz für Industrie und Forschung e.V. im vergangenen Jahr die Basis für eine effiziente und ergebnisorientierte Stimme für die Industrieforschung geschaffen.
Grundsätzlich brauchen wir mehr Investitionen in die angewandte Forschung! Dazu gehören die Förderung exzellenter Forschungscluster und die Schaffung eines innovationsfreundlichen Umfelds für mittelständische Unternehmen, die einen Großteil unserer Wirtschaft einnehmen, und Start-ups. Technologieoffene Forschungsförderung für Industrie bis KMU mit unter anderem branchenübergreifenden Lösungen muss weiter ausgebaut und mit mehr Mitteln unterstützt werden. Auch steuerliche Anreize für Unternehmen, die in Forschung und Entwicklung investieren, spielen eine Rolle. Ein weiteres Schlüsselelement ist der Abbau bürokratischer Hürden, die Innovationsprojekte häufig verlangsamen. Eine zukunftsorientierte Innovationsstrategie beinhaltet schließlich auch die Fokussierung auf Nachhaltigkeit und grüne Technologien, um ökologische und wirtschaftliche Ziele in Einklang zu bringen.
Und schließlich gehört dazu auch die bessere finanzielle Ausstattung der drei Industrieforschungsförderprogramme des Bundeswirtschaftsministeriums. Mit einer Mittelausstattung von eine Milliarde Euro p.a. für die Forschungsförderprogramme Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) mit 600 Millionen Euro, Industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF) mit 300 Millionen Euro und INNO-KOM mit 100 Millionen Euro würde die Politik ein industriepolitisch wichtiges Signal setzen. Diese Mittelbereitstellung wird eine große Hebelwirkung erzielen, denn es werden Lösungen zu konkreten Fragestellungen aus den Unternehmen – und damit für die betriebliche Anwendung und Verwertung – entwickelt. Für den Staat handelt es sich um eine Investition, die allein in Form von Steuereinnahmen um ein Vielfaches zurückfließen wird.
Wie können Unternehmen und Forschungsinstitutionen besser zusammenarbeiten, um Innovationen schneller auf den Markt zu bringen und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken?
Die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Forschungsinstitutionen lässt sich durch verschiedene Maßnahmen verbessern:
- Förderung gemeinsamer Innovationsplattformen: Hier können Unternehmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen ihre Expertise bündeln, um gemeinsam an marktreifen Lösungen zu arbeiten.
- Bessere Abstimmung der Industrieforschungsprogramme: Schon vor Abschluss von IGF-Projekten sollte auf Basis der Ergebnisse ZIM-Folgeprojekte mit dem Ziel des Transfers in die Praxis möglich sein.
- Schnellere Transfermechanismen: Innovationszyklen verkürzen sich kontinuierlich, daher sind schnellere Prozesse für den Technologietransfer notwendig. Das bedeutet, dass Forschungsergebnisse schneller patentiert und in die industrielle Anwendung gebracht werden sollten.
- Stärkere Vernetzung und Partnerschaften: Der Auf-/Ausbau von Netzwerken, die regelmäßigen Austausch zwischen Wirtschaft und Wissenschaft ermöglichen, ist entscheidend. Die AIF mit ihren Forschungsvereinigungen aus den verschiedenen Branchen und ihrem gewachsenen Netzwerk zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik ist dafür ein wesentlicher Partner.
- Flexiblere Forschungskooperationen: Flexible Vertragsmodelle und offene Innovationsansätze ermöglichen dynamischere und effizientere Projekte.
Wenn diese Aspekte gezielt adressiert werden, kann die Innovationskraft der deutschen Wirtschaft gestärkt und die internationale Wettbewerbsfähigkeit ausgebaut werden.
Thomas Reiche ist Vorstand des AIF e.V. und Geschäftsführer des FEhS - Institutes für Baustoff-Forschung e.V.
Foto: © FEhS